Donnerstag, 13. September 2012

Little Boy

Little Boy und die Füße im Sand, ein vielgliedriges Chitinwesen, das sich sanft um seine Schultern legt und mit fröhlichem Ticken an die Hauswand vor ihnen sendet. Das riesige Haus hat sich mitten am Strand aufgebaut und verfaulte Betonzähne in die herumliegenden Steine verankert. Abends hatten sie dann aus den Fenstern Lichter scheinen sehen und Stimmen und Lachen haben weit, weit über die sandigen Teile des Strandes hinaus gehallt. Drei Tage das geisterhafte Treiben und die dick aufgebauten, nie schlafenden breiten Wächter, blauschwarze Uniformen mit Wimpeln auf den Schultern in deren Gesichtern nicht einmal Jesus persönlich hätte lesen können. Das Fauchen von exotischen Tieren mischte sich unter die Stimmen von drinnen, die Menschen des Strandes hatten sich alle versammelt und starrten Tag und Nacht misstrauisch auf das Totem aus Stahl und Beton die sich in allen bekannten geometrischen Formen weit in den Himmel hinauf arbeiteten. Am dritten Tag öffneten sie die Türen, die Wächter traten beiseite und er trat hinaus, die seidenen Kleider fielen eng und scharf geschnitten über die knabenhafte Gestalt und die Härte, die in seinem Gesicht unbeirrt ruhte ließ alle zurückfahren. Seine Lippen öffneten sich, aber niemand verstand die zwei Silben, die wie ein stummes Gebet an eine alte, finstere Gottheit von seiner Zungenspitze abfielen. Ein Rascheln ging durch das komplette Gebäude, eine Herde aus Blättern die einen jungen Mann in Berlin eines morgens auf dem Weg zur Arbeit grausam hinrichten und aus dem Dunkel der Eingangshalle, die hinter ihm sichtbar gewesen war, krochen hunderte von Menschen hervor, in feine Gewänder gehüllt, tiefe Demut in ihren Gesichtern, die schönen Knie und wohlgepflegten Handflächen in den Sand gedrückt und sich vorwärts schleppend. Mit einer Handbewegung ließ der Knabe sie anhalten. Die Gestalten verharrten hinter ihrem Herren, die jungen Gesichter eingefallen und zerfurcht vor Hunger,  die Augen die hastig in alle Richtungen zugleich schielen wollten, die Zähne, die sich zwischen den gefletschten, zitternden Lippen zeigten. Fauchen und schwachsinnige Silben, die unruhige Meute stolperte hin und her. Erneut sprach der Junge, auch dieses Wort ließ dem Dorf, das der Szene inzwischen beinahe komplett versammelt beiwohnte die Haare aufstehen, als dunkle Schlieren und Bilder von Geistern ihr Rückenmark hinaufschoßen. Die Meute hatte auf dieses Signal gewartet und stürzte unter wildem Gefauche vorwärts, ehe die Dorfbewohner begriffen was passierte, waren sie unter ihnen und fielen über sie her, mit Zähnen und Fingernägeln rissen sie Fleisch aus Armen und Gesichtern, traten um sich, Hirndecken vergingen in der Wucht von auf dem Boden gefundenen Steinen, innerhalb einer einzigen Minute waren alle, die nicht flohen am Boden. Und jetzt, Little Boy rennt und sein Kopf ist leer von allem, er läuft ohne einen Gedanken, nimmt nicht wahr, wie die anderen Fliehenden hinter ihm eingeholt werden, Beine unter Stockschlägen brechen und Rippenkörbe von bloßen Händen aufgerissen werden, nur Little Boy, Little Boy und der Atem und sonst Stille. Er rennt bis zu einer kleinen Lichtung im Wald wo er sich neben den Teich fallen lässt. Erst jetzt bemerkt er, dass alle Schreie auf der Insel verstummt waren. Er legt seinen Kopf auf die Knie, schließt die Augen und stummt hysterisch. Schritte laßen ihn aufschauen. Der Knabe steht am Rand der Lichtung, strahlend rein im Gegensatz zu der von Blut und Fleischfetzen überzogenen Horde hinter sich. Der Knabe gibt dem Rudel ein Handzeichen und beginnt vorwärts zu laufen, die Meute verharrt unruhig hinter ihm. Little Boy erstarrt als der Knabe ihn am Hals packt und auf die Knie zwingt, das Gesicht zum Wasser gerichtet. Er kann in der Spiegelung des glasklaren Teiches erkennen, wie der Knabe sich zu seinem Nacken hinabbeugt und ein Wort flüstert, so leise, dass selbst Little Boy es nicht versteht und fühlt wie sein Nacken sich dehnt und lilane Chitinplatten aus seiner Haut und über seine Schultern hinausschießen, von wirren Mustern überzogener Wurm, der sich sanft um Schultern und Hals legt. Und jetzt Little Boy, Füße im Sand und freudiges Klicken. Der Knabe ist mit seiner Gefolgschaft zurückgekehrt auf sein Schloß und die Zähne lösen sich schwerfällig, aber schon bald stürzt das Schloss über das Wasser hinweg. Little Boy scharrt mit den Füßen im Sand, dann reißt er sich los. Er weiß, was zu tun ist.

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