Mittwoch, 19. September 2012

Der Raupenkönig

Es war einmal in einer Zeit in der man abends vorm Schlafen die Namen der Sterne hauchte. Am Rande des Berges an dem der König sein Schloß hatte stand die kleine Hütte zweier einfacher Leute, eines Jägers und seiner Frau. Ihr Sohn jedoch war ein Knabe der weit und breit für seine Sanftmut und die Ruhe die ihn umgab bekannt war.
Eines Tages zog der Junge durch die naheliegenden Wälder um Pilze für das Abendessen zu sammeln. Als er nach einem besonders großen und prächtigen greifen wollte hörte er eine Stimme die sprach "Herr, nicht, sieben harte Jahre habe ich daran gearbeitet Frau und Kind ein Dach zu schenken, lass es nicht umsonst gewesen sein und ich werde euch jeden Gefallen erfüllen" und als der Junge genau hinsah erkannte er fünf kleine Raupen die sich auf dem Hut des Pilzes ängstlich aneinanderklammerten. Der Junge erwiederte "Nein, nichts schuldet ihr mir, es wäre mir ein Greuel die traute Heimseligkeit zu stören". Die Raupe daraufhin "Ich mag zwar kümmerlich erscheinen aber solltet ihr euch einmal in Gefahr befinden so ruft nach mir und ich will euch zur Seite stehen."
Der Junge zog daraufhin beseelt weiter und bald hatte er einen ganzen Korb voller Pilze gesammelt und machte sich auf den Rückweg als er an einer Wegbiegung eine Kutsche stehen sah die von einigen Räubern überfallen wurde. In der Kutsche aber war niemand anderes als der König und dieser fürchtete gar arg um sein Leben. Der Junge wusste nicht was er tun sollte, die Räuber waren große, finstre Gesellen die bis zu den Zähnen mit Dolchen und Schwertern bewaffnet waren. Doch da fiel ihm das Versprechen der Raupe wieder ein und laut rief er sie durch den Wald. Bald eilte sie herbei doch der Junge hätte sie beinahe nicht erkannt in ihrer Krone und dem Zepter in der Hand, es war nämlich der Raupenkönig und auf seinen Ruf hin eilten die Schmetterlinge von nah und fern und ihr Flattern erfüllte die Luft, bald waren es soviele, dass das wilde Flattern der Flügel die Köpfe der Räuber zum Platzen brachte und ihre Körper zu Pfützen auf dem Boden zerflossen. Der Junge sah aber, das dies seine Schuld gewesen war und seine Haare fielen ihm vom Kopf und seine Augen wurden aschgrau und er stürzte wie wild von dannen.
Der Raupenkönig sah dies und war berstürzt. Für viele Tage saß er bedrückt in seinem Zimmer und wer auch immer nach ihm sah konnte seine Stimmung nicht heben. Am siebten Tage stürzte er morgens aus seiner Kammer und sagte seiner Frau, dass er ausziehen und den Jüngling suchen würde, denn solange dessen Herz schwer war konnten sie beide nicht mehr glücklich sein. Noch zur selben Stunde packte er seine Sachen und zog auf seiner treuen Spinne sitzend aus.
Sie wanderten weit, über Berge und Täler, überquerten Ozeane und überwanden tiefe Gletscher, doch wohin sie auch kamen, nie hatte jemand den Jüngling gesehen.
So kam es, dass sie nach Jahren der Wanderung in einer kleinen Herberge am Rande eines Weges halt machten. Als der Raupenkönig beim Abendessen saß hörte er von einem benachbarten Königreich in dem ein dunkler Zauberer mit schwarzem Herzen und Augen so kalt und grau wie die Asche verbrannter Städte regierte.
Sofort zog der Raupenkönig weiter und bald gelangte er an die Grenze der beiden Königreiche. Hier fand er jedoch eine Schlange, deren Schwanzende sich in einem vom Blitz gegabelten Baum verfangen hatte und die hier seit Tagen hungerte, die selten vorbeikommenden Wanderer hatten sie alle nur verlacht. Mitleid rührte die Raupe und er befreite sie aus ihrer misslichen Lage. Die Schlange zischte einen Dank und fragte ihn wohin er ginge. Als sie hörte, was er suchte warnte sie ihn: "Achte, wenn du ihm gegenüber stehst auf seine Füße und wenn er nach vorne tritt so sollst auch du nach vorne treten". Die Raupe dankte der Schlange und zog weiter. Bald gelangte er zum Schloß des Zauberers, einem dunklen Umriss, in dem sich Fleisch und Metall verwebten der über ein kümmerliches Dorf verschreckter Bewohner hinausragte. Als die Raupe durch die Straßen schritt sah er nur Schatten die sich in den engen Seitengassen vor ihm versteckten und er erblickte keinen von ihnen direkt. Bald stand er vor den Toren und schlug den schweren Türöffner dreimal gegen das Holz. Die Tür öffnete sich und heraus trat der Jüngling, wo sich seine Züge früher lieb gelegt hatten sprachen nun Arglist und Härte. "Was wünscht ihr?" donnerte er, den alten Freund nicht erkennend. "Oh, weit bin ich gereist, Herr und suche Herberge heute nacht" sprach da die Raupe. Der andere bat ihn hinein, doch sobald die Raupe einen Fuß über die Schwelle gesetzt hatte lachte der Zauberer lange und laut. "Nun, wo du mein Heim betreten hast, bist du meinem Zauber ausgeliefert! Eine letzte Mahlzeit sei dir gewährt, wenn die Sonne untergeht, danach werde ich dich zur Prüfung rufen und solltest du versagen so wirst auch du auf ewig mir als Schatten dienen!" Die Raupe erschrak und rätselte lange wie sie dieser Prüfung entgehen sollte, aber so oft sie auch versuchte das Schloß zu verlassen ward ihr als würde ihr das Herz zerplatzen und sie musste umkehren. Auch den Herrn des Hauses fand sie nicht mehr, egal wie lange sie herumzog. Gegen abend gelangte sie in eine prächtige Halle in der ein reich gedeckter Tisch stand. Die Raupe war hungrig, also setzte sie sich an den Tisch und begann zu essen, immer noch rätselnd, was nach dem Essen denn geschehen würde. Als sie ihre Gabel zum letzten Mal zur Seite gelegt hatte öffnete sich am Kopf des Saals eine Tür und die Stimme des Jünglings rief ihn hinein. Zögernd betrat die Raupe einen kreisrunden Raum in dem noch eine weitere Tür tiefer ins Schloß führte. Kaum stand die Raupe vollständig im Raum da schlugen Flammen überall an den Wänden und Türen empor und bildeten einen undurchdringlichen Wall. Der Zauberer stand in der Mitte des Raums und sprach "Auf der anderen Seite werde ich auf dich warten, dies sei dein Test" und er trat langsam in Richtung der Tür. Da fielen der Raupe die Worte der Schlange ein und sie sah, dass der Zauberer auf seinem rechten Fuß immer zweimal auftratt. Als der Zauberer durch die Tür geschritten war tat die Raupe es ihm gleich, immer zweimal mit dem rechten Fuße auftretend. Und tatsächlich gelangte sie unbehelligt von den Flammen durch die Tür. Hier fand er sich in einer kargen Kammer wieder in der ein alter, in Lumpen gehüllter Mann von einer schweren Kette an der Wand gehalten wurde. An der anderen Seite des Raumes jedoch lehnte ein Schwert. "Erlöset mich, seit Ewigkeiten liege ich hier, ich bitte euch, sendet meine Seele endlich heim" sprach der Alte. Die Raupe zögerte aber die Bitten des Alten wurder immer dringlicher bis sie schließlich nach der Klinge griff. Doch als sie das Schwert zum Schlag ausgeholt hat haderte sie erneut und traff deshalb statt dem wartenden Alten die auf dem Boden liegende Kette. Und siehe da, die kette zersprang und ein Ruck ging durch das ganze Schloß. Statt des Alten stand der Jüngling in feine Gewänder gehüllt vor der Raupe. "Oh Freund, vom finsteren Zauber der mich befiel hast du mich erlöst, nicht länger sollen Schatten durch die Straßen ziehen." Und sie begannen sich alles zu erzählen, was die Jahre gebracht hatten. Nach einigen Tagen verließ die Raupe beschwingt das nun goldstrahlende Schloß und kehrte heim. Und wenn sie nicht gestorben sind so kann man noch heute das leichte Flattern hören, wenn Schmetterlinge die Briefe und Zeichen von Liebe und Treue zwischen den beiden Reichen vermitteln.

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